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Sonntag, 4. August 2013

"Die arabische Gesellschaft liest nicht"

Comics, Grafiti und Street Art als “Wandzeitung” in Arabischen Frühling 2.0


Barbara Yelin ist deutsche Comic-Zeichnerin und Graphic-Novel-Autorin. Sie lebt und arbeitet zurzeit in München, gibt aber darüber hinaus Zeichenseminare in ganz Deutschland. Nur in Deutschland? Nein, im September und Oktober 2011 war sie für 5 Wochen Gast des Goethe Instituts in Kairo, wo sie neben dem Comic-Seminar, das sie dort gab, Zeit fand, sich graphisch mit dem Arabischen Frühling und ihren Begegnungen auf ihrer Reise auseinander zu setzen. In einem Interview mit dem Goethe Institut berichtet Yelin, wie die Teilnehmer des Workshops versuchten, ihre Erlebnisse, Wünsche und Hoffnungen, aber auch ihre Ängste und den verzweifelten Versuch “alles auf das Bild zu bringen” in ihren “Revolutionscomics” festzuhalten. Zu komplex war es für einige und zu schwierig, das Erlebte zu komprimieren. Vielleicht eine gute Übung für zukünftige Journalisten und Gesellschaftskritiker? Ute Reimar, die damals Verantwortliche für die Bibliotheksarbeit in ganz Nord Afrika, kennt die arabische Literaturszene und Lesekultur. Ihr Credo lautet: “Die arabische Gesellschaft liest nicht.” Um an Informationen zu gelangen, werde das Lesen schließlich zum notwendigen Übel. Da könnten Comics eine effektive Maßnahme zur Verbreitung von Informationen, aber auch zur Annäherung an einen ausgeprägteren Lesehabitus sein. Und natürlich ist da eine Abstraktion und treffsichere, klare Darstellung von komplexen Gegebenheiten unabdingbar.

Erstaunlicher Weise berichtet Yelin, dass fast alle Kursteilnehmer ein positives Ende für ihre Comics ausmalten. Sie selbst hat ihre Erlebnisse in einem Comic-Reisejournal festgehalten, dass heute noch auf der Website des Goethe Instituts in Kairo zu sehen ist. 
Barbara Yelin hielt ihre Erlebnisse bei ihrem Aufentahlt in Kairo im Herbst 2011 im einem Comic-Journal fest.
QUELLE: http://www.goethe.de/ins/eg/kai/kul/mag/cmc/yel/deindex.htm

Heute, 2 Jahre nach dem Ausbruch des Arabischen Frühlings, nach dem Absetzen von Präsident Mubarak, den demokratischen Wahlen, der kurzen Amtsperiode von Präsident Mursi und nach dessen Absetzen durch das Militär nach erneuten heftigen Protesten, sind wieder einmal Comics, Graffiti und Street Art die Medien, die das Geschehen begleiten und kommentieren. Es ist eine Mischung aus Reportage, Protest und Kunst, die nicht nur Kairos Wände schmückt, sondern in der ganzen arabischen Welt zu finden ist. Die ZEIT spricht von einer “Wandzeitung”, welche die Umstürze und Protestbewegungen dokumentieren.

Kunst und Protest - die "Wandzeitungen" in Kairo.
QUELLE:: http://www.tandempost.com/upload/resimler/haber/cairo_graffiti.jpg

“Doch die Botschaften an den Wänden sind vergänglich. Immer wieder werden die Malereien übermalt, entfernt oder verfremdet. Wichtige Zeugnisse der noch immer andauernden ägyptischen Revolution gehen so verloren. "Ich sehe diese Graffiti als historische Dokumente", erklärt Hamdy. Dokumente, die sie bewahren möchte. Gemeinsam mit dem Berliner Autor Don Karl hat die Ägypterin Hamdy deshalb das Buch Walls of Freedom zusammengestellt. Hunderte Aufnahmen, die mehr als 50 Fotografen in den vergangenen zwei Jahren von den Kunstwerken in Ägyptens Straßen machten, tragen die beiden in dem Band zusammen.” ( ZEIT online)
Text: Isis Mrugalla



Donnerstag, 6. Juni 2013

Sex und die Zitadelle - Shereen el Feki über die Welt der Sexualität in den arabischen Ländern der Revolution

“Sex und die Zitadelle” (oder der noch gelungenere englische Titel “Sex and the Citadelle” als Anlehnung an “Sex and the City”) ist mutig, aufklärend und ausgesprochen unterhaltsam zu lesen. El Feki nimmt sich hier eines absoluten Tabu-Themas an und präsentiert es auf beeindruckende Weise. Sex, sexuelle Vorstellungen und Normen, sowie die Geschichte der Sexualität in einer sich wandelnden arabischen Gesellschaft ist ein überraschender Perspektivwechsel - weg vom Tahir Platz und hin zum Privatesten des Privaten.

Klappentext

Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt. Dieses Buch wagt sich an ein Tabu: Fünf Jahre lang hat Shereen El Feki Frauen und Männer in den arabischen Ländern, vor allem in Ägypten, befragt, was sie über Sex denken und welche Rolle er in ihrem Leben spielt. El Feki schildert bewegende Schicksale, erläutert historische Hintergründe und liefert aufschlussreiche Daten. Anhand der verschiedenen Aspekte von Sexualität eröffnet sie völlig neue Einblicke in das Innenleben der sich wandelnden arabischen Welt. Sie betont, dass den Islam eigentlich eine positive Haltung zur Sexualität auszeichnet, vertritt aber zugleich die provokante These, dass ohne einen freieren, offeneren Umgang damit die politisch-soziale Entwicklung in den arabischen Gesellschaften weiterhin stagnieren wird. 

 Buchrezension von Deutschlandradio Kultur

(Ausschnitte)


Die äußerst strenge Sexualmoral in Ägypten muss sich lockern, davon ist Shereen El Feki überzeugt. Denn allein ein politischer Wandel helfe den Menschen nicht. In ihrem anekdotenreichen Buch über unbefriedigenden Sex in der Ehe und unerlaubten Sex vor der Ehe verurteilt sie die Gesellschaft dennoch nicht, sondern will helfen, sie zu verstehen.


In der Aufbruchstimmung des Arabischen Frühlings vor zwei Jahren konnte man Liebespärchen Hand in Hand über den Tahrir-Platz in Kairo schlendern sehen. Das war ein politisches Statement: Viele junge Menschen hofften nicht nur auf größere persönliche Freiheit, sondern auch auf eine Lockerung der in Ägypten noch immer äußerst strengen Sexualmoral. Dass letzteres in der arabischen Welt ebenso schwer, wenn nicht noch schwerer zu erreichen sein wird wie die politische Demokratisierung, davon Shereen El Feki in ihrem Buch "Sex und die Zitadelle". 

El Feki vermeidet vorschnelle Verurteilungen  

El Feki, die sich als Gesellschaftserforscherin in der günstigen Lage befindet, sowohl als westlich erzogene Außenseiterin wie aber auch als arabisch sprechende Ägypterin aufzutreten, berichtet über all diese Dinge nicht im Tonfall der moralischen Empörung, sondern mit bemerkenswerter Neutralität, und oft sogar mit Humor.

Vorschnelle Verurteilungen und einen allzu westlich geprägten Blick auf die arabischen Traditionen vermeidet sie bewusst, und darin liegt eine große Qualität ihres Buches. Es geht ihr nicht so sehr um die Kritik, sondern mehr um das Verstehen. Vor allem ist sie an den individuellen Freiräumen und Kompromissen, von denen ihr die Menschen erzählen, genauso interessiert wie an der von ihr analysierten gesamtgesellschaftlichen Unterdrückung der Sexualität.

Aufschlussreich sind dabei immer auch die eingestreuten historischen und religiösen Informationen zur islamischen Sexualmoral, die durchaus nicht immer so rigide war wie heute. Das Buch ist voller Verweise auf die arabische Erotik-Tradition und die grundsätzlich positive Einstellung zur Sexualität, welche den Islam in früheren Jahrhunderten oft in Konflikt mit dem theologisch prinzipiell sexualfeindlicheren Christentum brachten. Davon, so zeigt Shereen El Feki überzeugend, ist heute nicht viel übrig geblieben. Aber sie lässt keinen Zweifel daran: Der Weg zur politischen Befreiung kann nur mit einer Befreiung der Sitten, der Geschlechterverhältnisse und der Sexualität zusammen gehen.

 

Eingestellt von Alondra Institute



Sonntag, 5. Mai 2013

Comics und Journalismus

Die sogenannten "Comic-Reporter" sind Journalisten und Zeichner, die ihre Reportagen in Bilder fassen und so einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das Genre setzt sich mittlerweile gegen das Vorurteil der leichten Unterhaltung und der Assoziierung mit dem Tagseszeitungs-Comicstreifen durch. In dem Beitrag "Graphic Novels": Ausgezeichneter Journalismus in der Sendereihe Zapp im NDR Fernsehen hat Judith Pape einen kurzen Aufriss der Entwicklung der Comic-Journalisten gemacht. Zu sehen war der Clip am 24. April 2013 um 23:20 Uhr und kann immer noch auf der Website des NDR angesehen werden.



"Graphic Novels": Ausgezeichneter Journalismus


Sonntag, 28. April 2013

Das Interkulturelle Magazin im B5 aktuell

Die Medienwelt bietet eine Viezahl an Möglichkeiten, sich zu informieren, zu stöbern und zu entdecken. Eine besonders schöne Entdeckung ist das Interkulturelle Magazin, das als Radiosendung im Bayrischen Rundfunk BR B5 aktuell zu hören ist.

Die Sendung befasst sich mit trans - und interkulturellen Themen wie etwa Kulturfestifals, Integration, Europapolitik, internationale Literatur, Kunst und Musik sowie aktuellen gesellschaftspolitischen Themen wie dem Syrienkonflikt oder dem NSU Prozess in Deutschland. Ausgestrahlt wird die Sendung immer Sonntags um 13:05. Wer allerdings keine Zeit oder Lust hat, Radio zu hören, oder aber den Sender nicht empfängt, der kann auf der Internetseite den Podcast zur Sendung jederzeit anhören.

Freitag, 19. April 2013

Kulturanthropologie, Kommunikation ... und Kapitalismus?

Unter dem Titel "Interkulturelle Kompetenz. Mit Fremdem umgehen lernen" hält Prof. Dr. Jürgen Bolten von der Universität Jena am 16. Mai 2013 einen Vortrag zur aktuellen Ausstellung "GLÜCKSFÄLLE – STÖRFÄLLE, Facetten interkultureller Kommunikation" im Museum für Kommunikation in Frankfurt. Bolten ist aber nicht etwa Anthropologe, Integrationshelfer oder Politikwissenschaftler, sondern er betreut und lehrt Interkulturelle Wirtschaftskommunikation, wie etwa in seinem Projekt "Intercultural Campus" in Jena. Wirtschaft also. Wie kommt es, dass interkulturelle Kommunikation und interkultureller Dialog etwa die Wirtschaft interessieren? Geht es dabei nicht um fluide Themen wie Völkerverständigung, Weltfrieden, europäische Integrationspolitik und vielleicht noch Auslandsjournalismus?
Handelssprache herauskristalisiert, aber auch andere Sprachsysteme gewinnen zunehmend an Bedeutung, wie etwa asiatische Sprachen.
Nur leider ist Vokabeln lernen nicht die ganze Lösung. Sprachwissenschaftler wissen seit langem, dass Kommunikation nur zu einem Bruchteil verbal abläuft. Sehr viel wichtiger hingegen sei die nonverbale Kommunikation, etwa Gestik, Mimik, Auftreten oder Gesprächsverhalten. Der berühmte Sprachwissenschaftler Paul Watzlawick prägte den beeindruckenden Satz: "Man kan
Nein, weit gefehlt! Ohne interkulturelle Kommunikation kein Kapitalismus. Keine Globalisierung, keine internationale Fusionen, kein europäischer Binnenmarkt, keine wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit. Geschäfte machen, das ist nicht nur mit dem Federkiel auf teurem Aktenpapier unterschreiben. Das ist Verhandlungsgeschick und Diplomatie und verlangt nach geschulten Kommunikatoren. Und das nicht erst seit der Erfindung der Brieftaube oder des Schiffscontainers. Eine gemeinsame Sprache sprechen, dass war schon zur Zeit der alten Handelsrouten für Seide und Gewürze durch Afrika ein gemeinsames Ziel der Händler. Schließlich lässt sich so viel besser über Preis und Anzahl der Ware verhandeln - und so verbreitete sich die afrikanische "lingua franca": das Arabische im Norden sowie das Suaheli im Süden.
Und auch in Europa einigte man sich einige Jahrhunderte später vor allem aufgrund des Kolonialismus Englands auf eine gemeinsame Lingua Franca: Englisch. Heute, im 21. Jahrhundert, hat sich Englisch schließlich als weltweit wichtigste Verkehrs- und n nicht nicht kommunizieren."
 Nur - was kommunizieren wir? Ein freundliches Lächeln und Augenkontakt mag hier zum guten Ton gehören und in China eine direkte Beleidigung sein. Es gibt eben doch noch einen signifikanten Faktor, der über Erfolg und Misserfolg von Kommunikation entscheidet: Die Kultur.

Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr und ist mit 4 Euro Eintritt mehr sehr erschwinglich. Ein Besuch empfiehlt sich, nicht nur für Philologen, sondern auch (oder vor allem?) für wirtschaftlich Interessierte!

Isis Mrugalla
 
 

Donnerstag, 4. April 2013

MFK Frankfurt zum Thema Interkulturelle Kommunikation

Ausstellung, Workshops und Vorträge

Zitat von der Website des MFK:

Andere Länder, andere Sitten! Achselzuckende Befunde wie diese bringen die Begegnung der Kulturen auf einen recht einfachen Nenner. In Zeiten von weltweiter Kommunikation, Globalisierung und Migration jedoch wird die Kenntnis fremder Gepflogenheiten und Gebräuche immer wichtiger. Denn je mehr die Welt zusammenwächst, je mehr die internationale Zusammenarbeit sich verdichtet, desto häufiger treffen unterschiedliche kulturelle Prägungen aufeinander.
Die linke Hand, die in arabischen Ländern als unrein gilt, die Schuhsohle, die das orientalische Gegenüber nicht sehen sollte, die ausgeschlagene Tasse Kaffee, die das Millionengeschäft platzen lässt – die Liste interkultureller Stolpersteine ist lang. Doch es sind gerade diese Nuancen und Befindlichkeiten, die unser Miteinander bestimmen und nicht selten über das Gelingen von Kommunikation entscheiden. Aus diesem Grund werden Manager von interkulturellen Trainern beraten, Soldaten von Ethnologen auf Auslandseinsätze vorbereitet und Touristen von ihrem Reise-Knigge vor fremdländischen Fettnäpfchen bewahrt.
Die Ausstellung „GLÜCKSFÄLLE – STÖRFÄLLE. Facetten interkultureller Kommunikation“ beleuchtet auf rund 450 Quadratmetern unterschiedliche kulturelle Hintergründe und überbrückt Wissens- und Erfahrungsbarrieren. Interaktive Stationen zeigen unter anderem, ob wir gerade langsamer oder schneller gehen als eine Brasilianerin oder ein Schweizer. Das Publikum kann an einer „Eskalationsschraube“ drehen oder einen „Kulturschock“ erfahren und dabei lernen, wie man diesen vermeidet. Dabei rückt die Ausstellung nicht nur andere, fremde Kulturen in den Blick, sondern konfrontiert die Besucherinnen und Besucher auch mit ihren eigenen kulturellen Wurzeln und Prägungen – und wirbt so nicht zuletzt für ein tolerantes Miteinander.
Eine Ausstellung unter der Schirmherrschaft von UNRIC Regionales Informationszentrum der Vereinten Nationen für Westeuropa. Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.

Mittwoch, 20. Februar 2013

Reisen und Literatur in Afrika

Reisen und Literatur in Afrika 

Die Website Afrika-Welt veröffentlicht interessante Tipps



Die Website Afrika-Welt ist eine Informationsseite, die Kultur- und Bildungsreisen nach Afrika anbietet. Es werden Städte und Sehenswürdigkeiten vorgestellt, aber auch viel Wissenswertes über die Geschichte und Politik der Länder geschrieben. Die Website ist eingeteilt in die lokalen Bereiche Nordafrika Sahara, Westafrika, Ostafrika und Südliches Afrika. 
Besondere Aufmerksamkeit sollte man  allerdings der Sektion "Unterhaltung" schenken! Hier wird hochwertige Literatur aus Algerien, Marokko und Tunesien vorgestellt. Außerdem wird auf wichtige Autoren aus der Region verwiesen, die sich in der Nordafrikanischen Literaturszene einen Namen gemacht haben. 


Reinschauen lohnt sich!






Dienstag, 29. Januar 2013

Islam - Aufklärung gefällig?


Gibt es ein Gebot zum Ehrenmord im Koran? Heißt Jihad wirklich heiliger Krieg? Wie kam es eigentlich zum Kopftuch? Ist der Islam frauenfeindlich? Sind Hamas, Hisbollah und Taliban alle gleich? Welchen sozialen Wert haben Koranschulen eigentlich?
 
Vera F. Birkenbihl mag einigen ein Begriff sein. Ihr Beitrag in Karlsfeld im Jahr 2008 zum Thema Islam lohnt sich zu sehen. Sie bringt hier eine interessante Einführung in grundlegende historische Entwicklungen und aktuellen Debatten und räumt mit vielen Missverständissen und Fehlinterpretationen auf. In der letzten halben Stunde findet schließlich eine Diskussion zwischen den Zuhörern und der Vortragenden statt.
 

 
 
Für Interessierte: Birkenbihl nennt eine Vielzahl wertvoller Literatur zum weiterlesen und selbstforschen:
 
  • Hackensberger: Lexikon der Islam-Irrtümer
  • Khoury/Hagemann/Heine: Islam-Lexikon
  • Michael Luders: Allahs langer Schatten
  • Roy/Schäfer: Der falsche Krieg
  • Pechmann/ Kamlah: Soweit die Worte tragen
  • Abdullah: Islam für das Gespräch mit Christen
  • Tibi: Die fundamentalistische Herausforderung: der Islam und die Weltpolitik




Sonntag, 20. Januar 2013

Interview: "Ich wollte immer einen Reflex von der Straße"


Peter Mair und die Galeria Taberna Bar Anima


Die Galeria Taberna Bar Anima existiert jetzt seit 27 Jahren. Der Besitzer Peter Mair zog 1985 von Tirol nach Sevilla, kaufte ein Haus im Stadtviertel San Lorenzo, damals ein veraltertes, kulturell ausgestorbenes Viertel, und eröffnete die erste Bar, die Nachts geöffnet hatte, die Kunst ausstellte und noch dazu eine Frau hinter dem Tresen arbeiten ließ. Heute ist die Bar in der Calle Miguel Cid Nummer 80 ein sevillianischer "Geheimtipp", jeden Donnerstag und Sonntag spielen Live-Musiker und die Ausstellung der Bilder und Skulpturen wechselt alle 2 Wochen. Hier trifft Folklore Dekor auf alternativ Ideologie, offen für Kunst und Kultur aller Art. Eine Bar, die nicht nur die Kunst- und Kultur- sondern auch Zeitgeschichte Sevillas über fast drei Jahrzehnte begleitet und beeinflusst hat. Als ich Peter um 9 Uhr an einem Samstag Abend in seiner Bar besuchte, quatschte er bereits mit ein paar alten Freunden aus Deutschland, andere aus Portugal, und ein paar Sevillianern. Es spielt orientalische Musik und man trinkt Glühwein, "Franziskaner" Hefeweizen und Cruzcampo. Mika, die 12 Jahre alte Hauskatze sitzt auf einem Hocker, lässt sich von den Gästen kraulen und man fühlt sich sofort willkommen. Wir setzen uns an einen der kleinen Fliesendekor-Tischen und Peter beginnt zu erzählen.

Peter Mair in seiner Bar Anima


Wie kommt es, dass du 1985 nach Sevilla gezogen bist? Was war deine Motivation? Wolltest du von vorn herein eine Bar eröffnen und kulturelle Projekte aufbauen?

Mein Leben in Tirol war sehr schön. Ich hatte viele gute Freunde und einen tollen Job als Architekt. Aber ich wollte einen kulturellen Wechsel. Schon als Kind bin ich viel gereist, damals vor allem nach Italien da wir aufgrund der Diktatur nicht nach Spanien wollten. Aber als die Diktatur endete bin ich auf dem Weg nach Marokko auch durch Andalusien gereißt und so zum ersten Mal nach Sevilla gekommen. Die Stadt hat mir sofort gefallen. Und ich dachte mir, wenn ich schon einen Wechsel mache, dann gehe ich auch an das andere Ende von Europa, sodass dieser Kontrast ein bisschen stärker ist. Füher war es anders hier in Sevilla, mehr wie Afrika als Europa. 

Hattest du sofort die Idee, eine Bar mit Kunstaustellungen zu eröffnen, als du nach Sevilla gezogen bist?

Mika, die Hauskatze lässt sich gerne von Gästen kraulen.
Nein gar nicht. Ich hab damals dieses Haus gekauft, das in den oberen Stockwerken in einem sehr guten Zustand war aber das Erdgeschoss eher nicht. Aber als ich die Struktur des Erdgeschosses gesehen habe, dachte ich mir, dass es perfekt für eine Bar wäre. Das hat mich dann dazu animiert, dieses Projekt zu beginnen. 

In deiner Broschüre beschreibst du auch, wie San Lorenzo damals ein ziemlich ausgestorbenes Viertel war. Heute finden sich hier Kunsthandlungen, Bars und Kunstschulen. Wie schätzt du den Einfluss der Bar Anima auf dieser Entwicklung ein?

Naja, als ich hier meine Bar eröffnet habe, war es die erste, die auch Nachts geöffnet hatte. Es hat hier früher nur Tagesbars gegeben. Und noch dazu hab ich damals mit meiner Freundin zusammen gearbeitet. Das waren sie damals überhaupt nicht gewohnt, eine Frau hinter der Theke. Aber das war sicherlich animierend für andere Leute, hier in San Telmo mehr Kultur zu leben. Zum Beispiel haben mehrere Theater geöffnet wie das Theater Imperdible und das Theater TNT. Leider haben wir die meisten Theater aus finanziellen oder anderen Gründen wieder verloren. Aber dadurch hat sich die Struktur dieses alten, konservativen Stadtviertels einfach verjüngt, es ist interessant für andere Menschen geworden, sowohl zum ausgehen, als auch zum wohnen. 

Und der Effekt für Sevilla?

Anima hat vor allem den Effekt gehabt, dass es auch andere Bar-Besitzer animiert hat, Bilder auszustellen, die auch den jungen Künstlern zugute kommt. Ich kannte das ja schon aus Österreich aber hier war das für viele eine völlig neue Idee. 

 Ana Hata am 15. November 2012 in der Bar Anima
Du veranstaltest ja viele verschiedene Events in der Bar Anima. Neben den Kunstausstellungen gibt es auch Konzerte und Lesungen. Aus welchen Kriterium suchst du dir deine Künstler aus? Gibt es auch Künstler, die du "aus Prinzip" nicht einladen würdest?

Nein! Die Künstler hier sind eine Mischung aus jungen Künstlern, die vielleicht sogar ihre erste Austellung hier haben, und professionellen Künstlern. Und ich suche mir die Künstler aus, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie es auch ernst meinen mit ihrer Kunst, etwas eigenes machen und nicht einfach nur etwas kopieren. Also Leute bei denen ich auch die Chance sehe, dass sie danach auch weiter machen. Und ein paar sind nach ihrer Ausstellung oder ihrem Auftritt bei mir auch wirklich bekannt geworden. 


Also bist du auch eine Art Karriereunterstützung für die Künstler.

Ja ein bisschen wie ein Mäzen. Ich zahle auch die ganze Werbung und das ist für viele eine Möglichkeit, die sie sonst vielleicht nirgends bekommen. Ich bin auch nicht subventioniert. Wenn die Künstler dann etwas verkaufen, dann bekomme ich auch keine Provision. Ich habe also überhaupt kein kommerzielles Interesse. 
Zum Beispiel haben wir auch den Kunstmarkt am Museumsplatz in Sevilla aufgebaut. Damals illegal. Und als das dann als Projekt gelaufen ist, haben wir uns daraus zurückgezogen. Das war dann nicht mehr unsere Arbeit. Wir wollten einfach nur dieses Projekt initiieren. Das hat natürlich auch sehr vielen jungen Künstlern zu Einnahmen verholfen und zum Austausch untereinander geholfen. 

Deine Bar ist ja auch so eine Art "Melting Pot" der Kulturen. Nicht nur, dass verschieden Kunstrichtungen aufeinander treffen, sondern auch Menschen aus verschiedenen Ländern kommen hier zusammen. Würdest du deine Bar als Ort des interkulturellen Dialogs beschreiben?

Das hat vor allem durch Erasmus angefangen. Früher war das nicht so stark, wir hatten 1985 ja auch gar keine Möglichkeit dazu. Das Lokal ist nicht sehr zentral gelegen, man muss es also auch erstmal finden. Und unter den Erasmus Studenten kommunizieren untereinander, tauschen sich aus und treffen sich hier. Die Bar ist also eine Art Treffpunkt. Aber so haben auch schon viele ein Bild gekauft, die vielleicht sonst nie eins kaufen würden. Weil man in einer Bar einfach geht um etwas zu trinken und Spaß zu haben und da ist die Hemmschwelle reinzukommen und zu schauen einfach nicht so groß wie bei einer Kunstgallerie. 

Ist das auch die Aufgabe der Kunst für dich? Das die Kunst die Leute erreicht?

Ja, ich habe noch nie ein bestimmtes Publikum gewollt. Ich wollte immer einen Reflex von der Straße. Nicht nur Akademiker und Intellektuelle sondern ein gemischtes Publikum aus verschiedenen sozialen Bereichen und ich glaub das ist für die Kommunikation auch ganz gut.

Aber es hat sich auch vieles geändert durch den Eintritt Spaniens in die EU. Früher gab es viel mehr Flamenco in Sevilla, aber unorganisierten Flamenco. Die Spieler sind einfach irgendwann abends vorbei gekommen und haben bis 7 in der Frühe gesungen und Gitarre gespielt. Sie haben sich hier wohl gefühlt. Aber durch die EU-Gesetze war vieles nicht mehr möglich. Und die Nachbarn wollten auch mal ihre Ruhe. Und seit man wegen Ruhestörung jemanden anzeigen kann, hat sich der Flamenco in Sevilla ziemlich gelegt. Früher war es vielleicht nicht perfekt, aber es war einfach authentischer.

Aber mit der EU kamen viele neue Gesetze, die überhaupt keinen Sinn machen, wie dass die Ölflaschen eine bestimmte Form haben müssen. Henkelflaschen sind beispielsweise verboten. Die werden aber teilweise auch gar nicht von allen eingehalten.

Also ist die EU eher schädlich für Spanien?

Naja, nein das denke ich nicht. Spanien ist ein sehr großes Land und noch dazu ein sehr unterschiedliches Land. Diese ganze nationalistischen Strömungen wie im Baskenland werden von der EU "ausgesaugt". Ohne die EU würde Spanien vielleicht in verschiedene Teile zerbrechen. Wir könnten es also schlechter haben. Wie immer hat auch die EU gute und schlechte Seiten. Im Gesamten ist es aber gut, denke ich, vor allem wegen Programmen wie Erasmus. Das ermöglicht einen Kulturaustausch.

Was ist für dich dein allergrößter Wunsch für deine Bar?

Mein Wunsch ist der, nachdem ich ja jetzt schon 65 bin und eigentlich ja schon in Pension gehen könnte, dass ich in den nächsten Jahren vielleicht eine Person finden könnte, die das hier im gleichen Stil weiterführen kann. Damit es nicht ein chinesisches Restaurant wird oder so was ähnliches. Aber die Idee ist da, dass es so weiter geht.

Und für Sevilla insgesamt?

Gerade sind zwei große architektonische Projekte aus politischen Gründen gescheitert, was ich sehr schade finde. Die Parteien in Spanien haben einen sehr schlechten Ruf. Viele machen aus pragmatischen Gründen mit, zum Beispiel weil sie Arbeit suchen, und nicht aus ideologischen Gründen. Und wenn jemand zur Partei geht, wird er von allen gleich "Dieb" genannt. Wer also wirklich etwas verändern will, der geht nicht in die Partei. Und das ist das Problem. Wer geht dann rein? Wenn das so weiter geht, dann wird das Niveau eher schlechter.

Und viele junge Spanier wollen auch das Land verlassen.

Ja, das stimmt. Aber das ist nicht unbedingt nur schlecht. Es ist gut, wenn sie auch mal rauskommen. Aus dem Elternhaus und aus dem Land um auch mal eine andere Welt zu sehen. Und das ist sehr gut und wichtig.
Viele Künstler in Sevilla zum Beispiel wollen nicht weggehen. Und die Professionellen können auch von ihrer Kunst in Sevilla leben. Aber wenn sie woanders wären, könnten sie schon besser leben. Zumindest nach Madrid oder Barcelona müssten sie gehen. Der Markt hier ist sehr beschränkt aber sie wollen nun mal nicht weg. Als Künstler brauch man aber auch Konfrontation um weiterzukommen und die hat man irgendwann in einer Stadt einfach nicht mehr. Man ist begrenzt in seinem Freundeskreis, man sieht immer die selben Sachen und in Sevilla gibt es auch aus finanziellen Gründen nur wenige gute Ausstellungen und Galeristen. Und das ermüdet im Endeffekt. 

Samstag, 5. Januar 2013

Filmtipp: Gesichter des Islam Teil I-IV am 20. Januar auf 3SAT

Die Dokumentationsreihe "Gesichter des Islam" von Regisseur Hannes Schuler und Produzent Hartmut Schwenk wird am 20. Januar in 3sat ausgestrahlt. Zwischen 13:30 Uhr und 15 Uhr werden die vier Schwerpunktthemen "Glaube und Kultur", "Männer und Frauen", "Islam und Gewalt",sowie "Wissen und Fortschritt" behandelt.
Die Dokumentationsreihe wurde bereits 2010 in der ARD ausgestrahlt. Zu der Produktion schrieb die ARD:  "Für die Reihe haben die Macher in mehreren Ländern intensiv recherchiert, darunter Deutschland, Spanien, Marokko, Ägypten, Saudi-Arabien, Türkei, Iran und Indonesien. Befragt wurden Politiker, Nobelpreisträger, Wissenschaftler, Schriftsteller, Theologen und viele Bürger aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten."
Eine solche Dokumentationsreihe ist immer ambivalent zu betrachten. Durch die Ausstrahlung und Wiederholung im deutschen Fernsehen entsteht eine Sensibilisierung des Themas, eine Informationsquelle und eine Plattform für Austausch und Diskussion in der Öffentlichkeit und auch in den privaten Wohnzimmer.
Trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) soll darauf hingewiesen sein, dass eine solche Dokumentation bereits in ihrer Themenauswahl eine Vorabfilterung für das Publikum "im Westen" ist. Kulturelle Eigenarten, die Genderdebatte, Terrorismus sowie der Fortschrittsgedanke sind Themen, die immer wieder in Deutschland und im "Westen" insgesamt mit "dem Islam" in Verbindung gebracht werden, da es Schnittpunkte sind, in denen sich viele in ihrer kulturellen Selbstbestimmung, Sicherheit oder gesellschaftlichen Vorstellung bedroht oder zumindest mit Fremden konfrontiert fühlen. Daher wird auch explizit Material gesammelt, dass diese Bereiche anspricht, nicht zuletzt um der Einschaltquoten willen. Daran ist zuallererst nichts Schlimmes zu finden und es ist nur natürlich, dass man sich bei einem komplexen Thema einige Punkte herausnimmt, um diese genauer zu betrachten. Wichtig ist nur, dass eine Dokumentationsreihe über "den Islam" für ein muslimisches, arabisches oder asiatisches Publikum andere Fragen und auch andere Antworten finden würde. Unsere Medien zeigen und Informationen für unsere Interessen, diese sind oft hilfreich und interessant aber niemals rein objektiv und schon gar nicht das, was ein indischer Muezin über seine Religion als erstes erzählen würde.

Mit dieser kleinen Sensibilisierung und dem Fingerzeig auf die Gewieftheit unserer Medienwelt kann Alondra Institute mit gutem Gewissen und mit großer Interesse die Dokumentationsreihe "Gesichter des Islam" empfehlen!